Message-ID: <3BE413CE.42481319@tenuki.de> From: Bernd Gramlich Organization: Go-Club Bayreuth X-Mailer: Mozilla 4.74 [en] (X11; U; Linux 2.2.16 i686) X-Accept-Language: en, de, cs MIME-Version: 1.0 Newsgroups: de.rec.spiele.brett+karten Subject: [Go] Welches Vorgabe ist korrekt? Content-Type: text/plain; charset=iso-8859-1 Content-Transfer-Encoding: 8bit Lines: 27 Date: Sat, 03 Nov 2001 16:57:02 +0100 NNTP-Posting-Host: 195.27.208.15 X-Complaints-To: news@ecrc.de X-Trace: news.ecrc.de 1004802873 195.27.208.15 (Sat, 03 Nov 2001 16:54:33 MET) NNTP-Posting-Date: Sat, 03 Nov 2001 16:54:33 MET Xref: news.t-online.com de.rec.spiele.brett+karten:25670 Schon seit Jahren dachte ich, daß nur Besserwisser wie ich darauf bestehen, daß die korrekte Vorgabe zwischen zwei verschieden starken Amateuren wie folgt berechnet wird: Der stärkere spielt Weiß, nimmt Komi (!) und gibt - 2 Vorgabesteine, falls Schwarz um einen Grad schwächer ist, - 3 Vorgabesteine, falls Schwarz um zwei Grade schwächer ist, - 4 Vorgabesteine, falls Schwarz um drei Grade schwächer ist, - usw. Ein 1 Dan gibt demnach also einem 1 Kyu zwei Vorgabesteine und nimmt volles Komi. Heute jedoch machte mich Prof. Heine aus Wilhelmshaven auf seine Sammlung von Artikeln über Go aufmerksam, in denen unter anderem steht, daß genau dies in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gang und gäbe war. Vgl. dazu http://www.klgeheine.claranet.de/download/go_eu_syst_eng.pdf http://www.klgeheine.claranet.de/download/go_eu_syst.pdf Kennt jemand Originalquellen, in denen dieses alte Vorgabesystem beschrieben ist? ------------------------------------------------------------------------------- [es geht jetzt um das zur Zeit gängige Vorgabesystem: [Der stärkere spielt Weiß, nimmt 0.5 Komi und gibt [ - 0 Vorgabesteine, falls Schwarz um einen Grad schwächer ist, [ - 2 Vorgabesteine, falls Schwarz um zwei Grade schwächer ist, [ - usw. [Bernd Gramlich:] Olaf Salchow wrote: > > 2) Man vermutet gar nicht, dass da irgendetwas falsch sein könnte. > > Weils eventuell gut funktioniert? Es gibt durchaus Probleme. Wenn ich einen schwächeren Spieler danach einstufen will, wieviel Vorgabe er gegen mich braucht, und ich einfach die Anzahl der Vorgabesteine als Stärkegrade von meiner Stärke abziehe, dann ist dieser Spieler für Turnierzwecke meist zu schwach eingestuft. Siehe z. B. DGoZ 5+6/97. Da spielt natürlich auch hinein, daß ich (dank viel Praxis) sehr stark darin bin, hohe Vorgabe zu geben. Aber nicht nur. > > 3) Man muss schon ziemlich genau nachdenken, um überhaupt > > einzusehen, dass grundsätzlich etwas falsch ist. > > Weils eventuell gut funktioniert? Mir fiel erstmals auf, daß mit dem derzeitigen Vorgabesystem etwas faul ist, als der Server NNGS sein erstes Wertungssystem basierend auf dem alten europäischen Konzept einführte. Das funktionierte im Hochkyubereich einfach zuverlässiger als die deutsche Selbsteinstufung, insbesondere wenn man sich vom Server mit dem Befehl "suggest" die korrekte Vorgabe empfehlen ließ. > Welchen Vorteil hat die Vorkriegs-Vorgabe gegenüber der > Nachkriegs-Vorgabe? Sie eignet sich etwas besser dazu, Spieler einzustufen und umgekehrt aus korrekten Einstufungen die Vorgabe zu berechnen. Natürlich bleiben auch hier Unsicherheitsfaktoren (zumal Vorgabe nur näherungsweise additiv ist und Hochkyus oft schnell an Stärke zunehmen, ohne ihre Einstufung zu korrigieren). ------------------------------------------------------------------------------- [Robert Jasiek:] Olaf Salchow wrote: > > 2) Man vermutet gar nicht, dass da irgendetwas falsch sein könnte. > Weils eventuell gut funktioniert? Die traditionelle Vorgabe funktionert scheinbar so "gut", dass ich jahrelang ein mulmiges Gefühl hatte, wenn mir ein stärkerer Gegner 2 Vorgabesteine für zwei Spielstärken Differenz statt Null Komi für eine Spielstärke Differenz geben wollte. Intuitiv war mir klar, dass 2 Vorgabesteine viel Vorgabe, Null Komi und keine Vorgabesteine aber wenig Vorgabe sind. Erst viel später ist mir dieser Bruch durch den Teoriehintergrund erklärt worden. > > 3) Man muss schon ziemlich genau nachdenken, um überhaupt einzusehen, > > dass grundsätzlich etwas falsch ist. > > Weils eventuell gut funktioniert? Nein. Funktionieren tut nur die "Äquidistanz", nicht aber der Bruch von 1 zu 2 Spielstärken Differenz. > Da das wohl unbestreitbar so ist, kannst Du dann nicht ein gutes Werk tun > und das fehlende Wissen wieder unter uns verteilen? Mir fehlt leider die Zeit. Vielleicht erbarmt sich ja jemand für die nächste DGoZ. > Welchen Vorteil hat die Vorkriegs-Vorgabe gegenüber der Nachkriegs-Vorgabe? > Was in an einer der beiden richtiger als an der anderen? Es gibt keinen Bruch zwischen 1 und 2 Spielstärken Differenz. Olaf Salchow wrote: > > 2) Man vermutet gar nicht, dass da irgendetwas falsch sein könnte. > Weils eventuell gut funktioniert? Die traditionelle Vorgabe funktionert scheinbar so "gut", dass ich jahrelang ein mulmiges Gefühl hatte, wenn mir ein stärkerer Gegner 2 Vorgabesteine für zwei Spielstärken Differenz statt Null Komi für eine Spielstärke Differenz geben wollte. Intuitiv war mir klar, dass 2 Vorgabesteine viel Vorgabe, Null Komi und keine Vorgabesteine aber wenig Vorgabe sind. Erst viel später ist mir dieser Bruch durch den Teoriehintergrund erklärt worden. > > 3) Man muss schon ziemlich genau nachdenken, um überhaupt einzusehen, > > dass grundsätzlich etwas falsch ist. > > Weils eventuell gut funktioniert? Nein. Funktionieren tut nur die "Äquidistanz", nicht aber der Bruch von 1 zu 2 Spielstärken Differenz. > Da das wohl unbestreitbar so ist, kannst Du dann nicht ein gutes Werk tun > und das fehlende Wissen wieder unter uns verteilen? Mir fehlt leider die Zeit. Vielleicht erbarmt sich ja jemand für die nächste DGoZ. > Welchen Vorteil hat die Vorkriegs-Vorgabe gegenüber der Nachkriegs-Vorgabe? > Was in an einer der beiden richtiger als an der anderen? Es gibt keinen Bruch zwischen 1 und 2 Spielstärken Differenz. ------------------------------------------------------------------------------- [Olaf Salchow:] Robert Jasiek wrote: > Mir fehlt leider die Zeit. Vielleicht erbarmt sich ja jemand > für die nächste DGoZ. > Gut, erbarme ich mich mal selber. Dies sind so die Gedanken, die mir gestern beim Nachhausefahren so durch den Kopf gegangen sind: Für die Mathematiker unter uns: Sei a die Punkteanzahl, die einem Stein Vorgabe entspricht. Sei dieses a für jeden Stein konstant. Sei a/2 die korrekte Punktezahl, die für den Ausgleich des Anzugsvorteils notwendig ist. Die halben Komi sind mal zu vernachlässigen. Die optimale Methode sollte für n Steine Spielstärkeunterschied eine Vorgabe liefern, die n*a Punkten entspricht. Die alte Methode liefert für Schwarz folgenden Anfangspunktestand: Punkte = (n+1)*a - a/2 -a/2 = Vorgabe - Weiß nimmt Komi - Weiß fängt an = n*a Die neue Methode liefert für Schwarz folgenden Anfanfspunktestand: Punkte = n*a - a/2 = Vorgabe - Weiß fängt an = (n - 1/2)*a Danach liefert wirklich die alte Methode die besseren Ergebnisse. Besonders sollte das auffallen, wenn man aus A gibt B 3 Steine, B gibt C 3 Steine ==> A gibt C 6 Steine ableiten will. Und nun für uns Nichtmathematiker: ich (als Weißer) gebe ... nichts vor heißt: Du beginnst, ich kriege 5 komi 1 St. vor heißt: 1 Stein aufs Brett, dann beginnst Du, ich kriege 5 Komi 2 St. vor heißt: 2 Steine aufs Brett, dann beginnst Du, ich kriege 5 Komi . . . n St. vor heißt: n Steine aufs Brett, dann beginnst Du, ich kriege 5 Komi. Auch das entspricht der alten Methode. Danke an Bernd und Robert, Ihr habt mich konvertiert. :-) Ol"Nichtmathematiker, hat man das gemerkt?"af ------------------------------------------------------------------------------- [Bernd Gramlich:] Georg Mischler wrote: > > Der stärkere spielt Weiß, nimmt Komi (!) und gibt > > > > - 2 Vorgabesteine, falls Schwarz um einen Grad schwächer ist, > > - 3 Vorgabesteine, falls Schwarz um zwei Grade schwächer ist, > > - 4 Vorgabesteine, falls Schwarz um drei Grade schwächer ist, > > - usw. > > > > Ein 1 Dan gibt demnach also einem 1 Kyu zwei Vorgabesteine und > > nimmt volles Komi. > > > Deine Theorie ist unter folgenden Voraussetzungen rechnerisch > korrekt: > > a) Das "volle Komi" gleicht einen halben Vorgabestein aus. > > b) Der erste Vorgabestein ist nur halb so viel Wert wie die > uebrigen. > > > Die Voraussetzung a) entspricht der Ansicht des Herrn Heine, und > offenbar deiner ebenfalls. Ja, wobei ich sie anders formulieren würde: - Weiß nimmt kein Komi, falls Schwarz um einen halben Grad schwächer ist. > Zur Voraussetzung b) machen Herr Heine's Dokumente keine Aussage. > Es ist darum nicht ganz klar, warum du denkst er sei gleicher > Ansicht wie du (ausser ihr habt seperat darueber korrespondiert). Deine Voraussetzung b) ist falsch und wird so weder von mir noch von sonst jemandem vertreten. Schau Dir einfach die folgende Tabelle an: Schwarz ist ... als Weiß | Schwarz spielt ... Steine | Komi -------------------------|---------------------------|----- um null Grade schwächer | 1 | voll um einen Grad schwächer | 2 | voll um zwei Grade schwächer | 3 | voll um drei Grade schwächer | 4 | voll : | : | : -------------------------|---------------------------|----- Das ist alles wunderbar linear. Jeder Vorgabestein ist gleich viel wert. > Sind wirklich einige Vorgabesteine gleicher als die anderen? Nein. ------------------------------------------------------------------------------- [Bernd Gramlich:] Georg Mischler wrote: > > Schwarz ist ... als Weiß | Schwarz spielt ... Steine | Komi > > -------------------------|---------------------------|----- > > um null Grade schwächer | 1 | voll > > um einen Grad schwächer | 2 | voll > > um zwei Grade schwächer | 3 | voll > > um drei Grade schwächer | 4 | voll > > : | : | : > > -------------------------|---------------------------|----- > > > > > > Das ist alles wunderbar linear. Jeder Vorgabestein ist gleich viel > > wert. > > > Du hast natuerlich recht, dass diese Skala linear ist, das habe ich > ja auch nicht angezweifelt. Es bleibt aber trotzdem bei einer > scheinbaren Bevorzugung von Schwarz. > > Schau dir mal die erste Zeile genau an. Dort gehen wir ja davon aus, > dass beide Spieler exakt gleich stark sind. Du hast oben bestaetigt, > dass "volles Komi" einem halben Vorgabestein entspricht. Das heisst, > dass Schwarz einen ganzen Stein Vorgabe erhaelt (= den Anzugsstein), > Weiss erhaelt aber nur einen halben Stein durch Komi ausgeglichen. Gut. Zu diesem Zeitpunkt - wenn Schwarz den ersten Stein gesetzt hat - bewertest Du den Wert der Partie also als einen halben Stein für Schwarz. Damit hast Du auch recht. Denn jetzt kommt der Clou: nun ist Weiß an der Reihe und setzt einen Stein, und plötzlich steht die Partie wieder einen halben Stein für Weiß! Das setzt sich dann in der Eröffnung weiter fort, so daß die Partie immer einen halben Stein für den Spieler steht, der gerade an der Reihe war. Im Mittelspiel und vor allem im Endspiel werden die neu gesetzten Steine allmählich weniger wert, so daß die alternierende Summe schön langsam gegen 0 konvergiert (vorausgesetzt, niemand macht einen Fehler und das Komi ist korrekt). Du siehst also, daß diese Vorgabetheorie in sich vollkommen konsistent ist :-). ------------------------------------------------------------------------------- [Matthias Krings, der dasselbe nochmal anders schreibt. [Diese Tatsache ist ihm hier jedoch noch nicht aufgefallen: Georg Mischler wrote: > > Bernd Gramlich wrote: > > >> Dort gehen wir ja davon aus, > >> dass beide Spieler exakt gleich stark sind. Du hast oben bestaetigt, > >> dass "volles Komi" einem halben Vorgabestein entspricht. Das heisst, > >> dass Schwarz einen ganzen Stein Vorgabe erhaelt (= den Anzugsstein), > >> Weiss erhaelt aber nur einen halben Stein durch Komi ausgeglichen. > > > > Gut. Zu diesem Zeitpunkt - wenn Schwarz den ersten Stein gesetzt hat - > > bewertest Du den Wert der Partie also als einen halben Stein für > > Schwarz. Damit hast Du auch recht. Denn jetzt kommt der Clou: nun ist > > Weiß an der Reihe und setzt einen Stein, und plötzlich steht die Partie > > wieder einen halben Stein für Weiß! > > > > Das setzt sich dann in der Eröffnung weiter fort, so daß die Partie > > immer einen halben Stein für den Spieler steht, der gerade an der Reihe > > war. Im Mittelspiel und vor allem im Endspiel werden die neu gesetzten > > Steine allmählich weniger wert, so daß die alternierende Summe schön > > langsam gegen 0 konvergiert (vorausgesetzt, niemand macht einen Fehler > > und das Komi ist korrekt). > > > > Du siehst also, daß diese Vorgabetheorie in sich vollkommen konsistent > > ist :-). > > > Ah, endlich erklaert das mal jemand so, dass ich's auch verstehe! Doch leider ist diese Erklärung wohl falsch, wenn ich sie richtig verstehe. Zunächst: ich denke auch, dass die in deisem Thread propagierte Änderung der Vorgaberegelung vernünftig wäre. Ich würde es nur anders begründen: Wenn Du den ersten Stein aufs Brett setzt, dann steht die Partie einen *ganzen* Stein für schwarz. Warum auch nicht, es steht ja genau ein ganzer Stein da. Wenn dann weiß einen Zug macht, steht es wieder genau ausgeglichen. Warum auch nicht? Schließlich steht genau ein schwarzer und ein weißer Stein auf dem Brett rum. Also alles gleich. Das heißt aber (an die Mathematiker: jetzt vereinfach ich was, ich weiß, aber so bleibts anschaulich), dass bei der Hälfte der Züge eines gesamten Spiels schwarz mit genau einem Zug vorne liegt und bei der anderen hälfte alles ausgeglichen steht. Im Mittel liegt also schwarz immer mit einem halben Stein vorne, deswegen bekommt s auch einen halben Stein durch die Komi ausgeglichen. Wenn nun 2 Steine Vorgabe gegeben werden, dann liegt s im Mittel immer mit anderthalb Punkten vorne, mal mit zwei, mal mit einem. Deswegen bekommt s bei einer Spielstärkedifferenz von zwei Steinen zu wenig Vorgabe, wenn er am Anfang zwei Steine aufs Brett setzt. Es sind ja dann eigentlich nur anderthalb. 3 Steine und Komi für w wäre also eine Option. Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist also wirklich so, dass der erste Vorgabestein gleicher ist. Oder, vielleicht anschaulicher, der letzte. Denn nach ihm, zieht weiß und plötzlich steht eine Situation auf dem Brett, in der es einen ganzen Stein weniger gibt. Aber danach zieht ja wieder s und der Stein ist wieder da. Der letzte Stein mag sich grämen wie er will, er zählt nur halb, hilft alles nix.